Fla-Rakete 3M9

Schnittmodell einer 3M9 auf zwei Ablageböcken, wie sie auch von der technischen Batterie 
zur Ablage der Raketen genutzt wurden / Foto: R. Wagner (Quellen 2)

 

 

Bevor es richtig losgeht, erst einmal besten Dank an Michael Stärz, Olaf Schröder, Stefan Richter und Volker Spaar von der Firma Nammo-Buck. Sie haben mit mit technischen Angaben, Bildern oder der Möglichkeit solche zu "schießen" wesentlich zur Erstellung dieser Seite beigetragen. 

 

Entwicklung und Versionen

1959 erhielt  Konstruktionsbüro OKB-134  GKAT in Tushino den AUftrag zur Entwicklung der Fla-Rakete 3M9. Dieses Konstruktionsbüro war bis dahin auf Flugzeugbewaffnung spezialisiert und hatte die Luft-Luft- Rakete K-6 entwickelt.  Zeitgleich mit dem Auftrag der 3M9 hatte dieser Betrieb auch den Auftrag erhalten, aus einer erbeuteten amerikanischen AIM-9B die Luft-Luft-Rakete K-13 zu entwickeln. Die 3M9 sollte die erste sowjetische Fla- Rakete mit Feststoff-Staustrahltriebwerk und halbaktivem Funkmeß-Zielsuchlenkkopf. Aus dieser völlig neuen Konzeption, aber auch aus Kapazitätsproblemen durch die parallel zu entwickelnde K-13 resultierten eine Reihe von Problemen. Bereits bei den ersten Tests explodierten mehrere Raketen, so das Ljapin versuchte, die für 1960 geplante staatliche Erprobung zu verschieben. Er wurde 1961 seines Postens enthoben und durch Toropow abgelöst. Bei der Erprobung 1963 gelang nur jeder dritte Start. Von den 83 gestarteten Raketen waren 11 mit einem Funkmeß-Zielsuchlenkkopf ausgerüstet. Erst 1965 gelang es die Probleme mit den Feststofftriebwerken zu lösen.

Es wurden mehrere Versionen der Rakete entwickelt, die 3M9M, 3M9M1, 3M9M2 und 3M9M3. Die auch in der NVA verwendete 3M9MÄ war die Exportversion der 3M9M. Deutliche Veränderungen gab es bei der 3M9M3. Mit dieser Rakete war es nun möglich, die 1S91 auch zu überschießen. Dadurch waren deutlich mehr Gefechtsordnungen für die Fla-Raketenbatterie wie bisher (Halbkreis und Viereck) möglich. Außerdem konnten mit dieser Rakete auch Ziele im Einholeverfahren bekämpft werden und das Verfahren "Erfassen in der Luft" möglich. Bis dahin war nur das Gegenkursverfahren möglich und der Funkmeßzielsuchlenkkopf der Rakete musste vor dem Start das Ziel erfasst haben.Auf Basis der 3M9 wurde für die Marine die Rakete M22 entwickelt, von der aus die Entwicklung direkt zur Rakete 9M38 des FRK Buk führte. Ende der 70-er Jahre wurde außerdem der  Zieldarstellungsflugkörper 3M20 entwickelt.     

 

Aufbau und Funktion

Zeichnung: Dienstvorschrift 3M9MÄ Beschreibung

Photo: R. Wagner (2)

1.) Zelle 1 Ballistische Haube aus radardurchlässigem Kunststoff. Dahinter verbirgt sich der Funkmesszielsuchlenkkopf (FMZSLK) 1SB4.  Der Lenkkopf empfängt die vom Ziel reflektierten Signale des Senders "D" der 1S31 und ermittelt die Werte für den Autopiloten. Zum Erfassen des Ziels mit dem FMZSLK, wird die Rakete noch auf dem Startbalken in die Betriebsart "Ziel" überführt. Die Rakete kann etwa 10 Minuten in dieser BA geschaltet bleiben (Bei Temperaturen>35°= 5 Min). Danach ist eine Pause von ca. 60 Minuten notwendig. In dieser Pause kann die Rakete nochmals, aber nur für maximal 5 Minuten in die Betriebsart "Ziel" überführt werden. Bei der Version M3 gab es auch ein Verfahren, bei dem ohne vorheriges Erfassen durch den FMZSLK die Rakete gestartet werden konnte ("Erfassen in der Luft")  Für die in der RM9 umgesetzte Lenkmethode der proportionalen Annäherung werden ausschließlich die Veränderungen des Seiten und Höhenwinkels bezogen auf die Achse Rakete-Ziel benötigt. Wie links erkennbar hat die Antennespiegel in alle Richtungen ein Schwenkbereich von mehr als 150° und kann damit fast in die entgegengesetzte Richtung "sehen".  Zwischen 1SB4 und dem Gefechtsteil befindet sich der Funkzünder 3Ä27. Der Funkzünder ist zweikanalig aufgebaut. Die Antennen sind seitlich am Rumpf angebracht. Durch den Annäherungszünder wird die Rakete in einer Entfernung von ca. 30m zur Detonation gebracht.

2.) In  Zelle 2 befindet sich das Gefechtsteil 3N12 Das Gefechtsteil  besteht aus dem Splitter-Sprengkopf, der Sprengladung und der Zündeinrichtung. Er wiegt ca. 57 kg. 

3.)  Zelle 3 beinhaltet den Autopiloten. Der Autopilot errechnet die Lenkkommandos für die Schwenk- flügel und die Ruder an den Stabilisatoren. Die Kommandos für die Schwenkflügel wurden auf der Grund- lage der Änderungsgeschwindigkeit der Achse Rakete-Ziel (gemessen direkt an der Antenne des FMZSLK) errechnet. Die Kommandos für die Ruder wurden aus Signalen eines Kreiselsystems, das die auftretenden Schwingungen der Rakete um ihre 3 Achsen maß, errechnet. Dadurch wurde ein stabiler Flug erreicht. Eventuelle Drehungen der FRa um ihre Längsachse wurden auf 0,5°/s begrenzt. Hinter dem Autopiloten befindet sich der Druckluftbehälter. Der Druckluftbehälter diente als Primärenergie- quelle während des Fluges der FRa. Ein Druckregelsystem speiste einen Turbinengenerator, mit dem die  notwendige elektrische Energie erzeugt wurde und die elektropneumatischen Flügel- und Rudermaschinen.

4.) Die vier Schwenkflügel sind kreuzförmig angeordnet und dienten der Lenkung der Rakete. Die notwendigen Lenkkommandos wurden durch den Autopiloten errechnet.  

5.) In Zelle 4 befinden sich das Marsch- und das Starttriebwerk. Das Startriebwerk ist ein Feststofftriebwerk und hat eine Masse von ca. 172 kg. Der Treibstoffblock ist 1,7 m lang, mit einen Durchmesser von 29 cm. In der Mitte befindet sich ein zylindrischer Kanal mit einem Durchmesser von 54 mm. Als Treibstoff wird der hochgiftige WIK-2 verwendet. Das Startriebwerk arbeitet nur ca. 3-6 Sekunden und bringt die Rakete auf eine Geschwindigkeit von M1,5. 

Das Marschtriebwerk 9D16K ist ein Raketenstaustrahltriebwerk. Der Treibstoffblock ist 76 cm lang, hat einen Durchmesser von 29cm und wiegt etwa 67 kg. Die Brenndauer beträgt 20 Sekunden. Der ausgebrannte Raum des Startriebwerks wird dabei wie eine Nachbrennerkammer genutzt. Der Treibstoff LK-6TM weist nur eine geringe Konzentration an Oxydationsmitteln aus und gelangt nicht vollständig verbrannt in diese Brennkammer. Dort wird über die vier Lufteinläufe (13/12/11) zusätzlich Luft zugeführt und der Treibstoff komplett verbrannt. Damit wird die Rakete bis M2,8 beschleunigt. Das Triebwerk brennt ca. 20 Sekunden.      

Oben :Mittelsektion mit den Ventilklappen zur Luftzufuhr für das Raketenstaustrahltriebwerk. Der gelbe Block ist der Treibstoff des Starttriebwerks

Rechts: Startriebwerk, Düse und Rudermaschinen

Photos: R. Wagner (2)

6.) An den Heckstabilisatoren, die eigentlich zu klein sind befinden sind deshalb zusätzliche
Ruder zur Lagestabilisation der Rakete (7), außerdem zwei Heckantennen (8) und zwei Lagegeber für den Autopiloten (9,15)

10.) Verkleidung für die pneumatischen Leitungen zu den Rudermaschinen

11.), (12). und (13) Ist einer der vier Lufteinlaufkanäle für das Marschtriebwerk. In der Spitze der Lufteinläufe befindet sich jeweils ein fester Lufteinlaufkonus(13). Dieser ist zunächst mit einer festen Plastefolie bezogen. Wenn die Rakete ca. M1,5 erreicht hat (kurt vor Ausbrennen des Startriebwerks) werden diese durch den dahinter liegenden Konus auf Grund des Drucks zerschnitten.

Links: Mittelsektion der Rakete mit Autopilot, Druckluftbehälter und Lufteinlaufkonus 

Rechts; Hinterer Bereich der Mittelsektion mit Marschtriebwerklinks, Ventilklappen der Luftzufuhr und dem Starttriebwerk

Photos : R. Wagner (2)

14.) Abschersteckverbindungen. Beide Anschlüsse müssen beim Beladen der 2P25 am Startbalken angeschlossen werden. Über diese Verbindungen erhält die Rakete die Kommandos und erfolgen die Rückmeldungen. Beim Start werden beide Kabel direkt am Rumpf über die Abschereinrichtung der 2P25 abgetrennt.

Taktisch technische Angaben

Länge 5,8m
Rumpfdurchmesser 0,335m
Spannweite 1,245m (Flügel) 1,45m (Ruder)
Masse 600 kg
Masse des Gefechtsteils 57 kg
Geschwindigkeit (max) M2,8
Reichweite 17,5/19 km , 21,5/24km mit Ausnutzung der passiven Flugbahn
maximale Belastung 15g

Raketenbestand und Lagerung:

Die Erstauffüllung waren 120FRa, davon in jeder Bttr 6 (=0,5KS) in Endbereitschaft (EB) auf 2P25, der Rest von 96 (=2,0KS) in der TBttr in Langzeitlagerung (LZL). Davon wiederum 60St. auf 10 9T22B und die restlichen 36 auf sog. Niederplattformwagen. dabei handelte es sich um ein stabiles Wägelchen mit 10t Tragkraft aus DDR-Produktion. Im Park konnte es auch mit einem UAZ469 gezogen werden. Mit Ausmahme der TW-1/2 der Gefechts-2P25 wurden im FRR-11 keine FRa auf 2T7 im Raketenpark gelagert. Die Anzahl der Fla-Raketen blieb über den gesamten Einsatzzeitraum des FRK 2K12 konstant. Es wurden lediglich die Verschußraketen ersetzt. Das hatte vor allem finanzielle Hintergründe. Die Aufbewahrungsfrist wurde vom Hersteller für LZL mit 7 Jahren, für EB mit 3 Jahren angegeben, weil insbesondere der Treibstoff des Starttriebwerkes einer von den äußeren Umständen abhängigen Selbstoxidation unterlag und die Fla-Raketen danach zur Hauptinstandsetzung mussten. Bei Einhaltung bestimmter Lagerbedingungen konnte diese Frist  auch etwas verlängert werden (1-2 Jahre maximal). Wären diese Fristen nicht eingehalten worden, hätte das Risiko bestanden, dass das Starttriebwerk nicht mehr genügend Schub entwickelt und deshalb das Marschtriebwerk nicht gezündet hätte. Deshalb wurden in Endbereitschaft nur soviel 3M9 wie nötig gehalten. 

Entsorgung der 3M9 der NVA

(1)

(2) (4)

(3)

(1) Kopfteil einer 3M9 neben dem einer 5W28, (2) Zerlegung einer 3M9, 

(3) Entsorgung eines Feststofftriebwerks, 

(5) der Rumpf einer 3M9 wird zerlegt - alle Photos mit frdl. Genehmigung der Fa. Nammo-Buck (60)

Die 3M9 der NVA wurden fast ausnahmslos entsorgt. Dieser Korpus befindet sich auf dem Gelände des historisch -technischen Informationszentrums in Peenemünde und ist von den Nammo-Buck Werken in Pinnow übergeben worden. Diese Spezialfirma für Munitionsentsorgung entsorgte zwischen 1991 und 1999 insgesamt 663* Fla-Raketen 3M9 aller Versionen. (Foto:2)

 * Diese Zahlenangabe habe ich auf Anfrage bei der Fa. Nammo-Buck erhalten. Angaben über Versionen konnten nicht mehr gemacht werden. Lt. Wilfried Kopenhagen wurden zwischen 1992 und 1999 1.200 Fla- Raketen 3M9 MÄ in Pinnow (Fa. Buck) vernichtet. Wahrscheinlich beziehen sich die 633 Stück auf ausschließlich die durch die Nammo-AS vernichteten 3M9. Die Nammo-AS hatte nach dem Konkurs der Buck-Werke Pinnow den Betrieb in 2000 übernommen. Laut "Soldat und Technik 10/2002" mussten insgesamt mehr als 6.000 3M9 vernichtet werden. Diese Zahl erscheint jedoch unglaubwürdig, da der Raketenbestand inklusive Reserveregimentern ca. 1000 Stück je Regiment  betragen hätte. Zum Vergleich: Für ein OSA-AK Regiment standen einschließlich des Bestandes in den Fla- Raketentechnischen Basen 480 Fla-Raketen zur Verfügung. (bei vierfacher Anzahl von Zielkanälen und doppelter Anzahl von Startmöglichkeiten je Fla- Raketenbatterie !) 

Quellen: 

NVA, Kdo LasK; CTLA Auskunftsbuch der Truppenluftabwehr 1985, ex GVS B 597030
www Internetseite vestnik pvo, 2K12
Stefan Richter Informationen via e-mail
Olaf Schröder Informationen via e-mail
Firma Nammo-Buck (Volker Spaar) Informationen via e-mail

Fotos/Zeichnungen

(2) Ralf Wagner

(61) Fa. Nammo Buck

Dienstvorschrift 3M9MÄ Beschreibung